Herzlich Willkommen auf unserer Träumer-Couch, Frau Schwartz. Wir freuen uns sehr, dass Sie spontan dazu bereit waren, es sich bei uns gemütlich zu machen und unsere Fragen zu beantworten!




1.) Sie haben bereits in anderen Interviews beschrieben, wie Grim an Sie herangetreten ist. Nun ist es ja so, dass viele überhaupt nicht träumen und sich, wenn, dann oft gar nicht mehr daran erinnern oder aber irgendeinen Quatsch in ihrer Traumwelt erleben. Bei Ihnen scheint das jedoch anders zu sein. Träumen Sie oft und verarbeiten diese Träume dann im Nachhinein auch weiter? Und was vielleicht auch noch ganz interessant wäre: gibt es einen Geheimtipp für solche schönen Träume wie Sie sie haben?


Dazu muss ich zunächst sagen, dass Grim mir nicht im Traum erschienen ist – jedenfalls nicht bei unserer allerersten Begegnung. Die verlief nämlich ganz ähnlich einem Geistesblitz: Auf einmal war das Bild von Grim über den Dächern von Paris einfach da. Im weiteren Verlauf unserer… nun, nennen wir es: Zusammenarbeit… habe ich dann in der Tat auch von Grim geträumt – ob er tatsächlich aktiv Anteil daran hatte, wie er ja in seinem Brief an die Leser behauptet, den man auf meiner Homepage finden kann, lasse ich einmal dahingestellt sein.

Aber um die Fragen zu beantworten: Ich denke nicht, dass es Menschen gibt, die gar nicht träumen. Oft erinnern wir uns nicht an unsere Träume, das ist wahr – aber deswegen sind sie dennoch da und lebensnotwendig für uns. Vielleicht haben wir nur verlernt, sie wahrzunehmen und die Erinnerung an sie bei uns zu behalten, wenn wir in die sogenannte Realität zurückkehren. Möglicherweise liegt das auch daran, dass wir die Welten, die sich uns durch unser Inneres erschließen, für weniger real erachten als die ‚äußere Welt‘ und ihr daher weniger Bedeutung zugestehen. Das halte ich für fatal, denn wir sind mehr als die Wirklichkeit, die uns umgibt, und wir verlieren viele Möglichkeiten, wenn wir verlernen, die Bedeutung unserer Träume zu erkennen – nicht zuletzt die Möglichkeit, frei zu sein.

Ich selbst träume vermutlich nicht häufiger als andere Menschen, und ich kümmere mich auch oft viel zu wenig um meine Träume. Gerade in stressigen Zeiten erinnere ich mich am Morgen mitunter gar nicht daran, überhaupt geträumt zu haben. Aber sich an Träume zu erinnern, kann man üben – zum Beispiel, indem man gleich morgens alles aufschreibt, an was man sich erinnert, und den Träumen so die Bedeutung gibt, die sie verdienen. Meine eigenen Träume sind übrigens – abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen – meist alles andere als schön, sondern eher verstörend, düster und beängstigend. Insofern bin ich nicht sicher, ob ich wirklich einen Tipp geben sollte, wie man an solche Träume kommen kann – wenn ich ihn denn hätte. Generell denke ich aber, dass Träume – Nacht- wie Tagträume – unser Leben reicher machen, denn sie führen uns zu uns selbst, verwandeln uns, wie Geschichten es tun, und verändern so auch die Welt. Wir sollten ihnen vertrauen. Sie kennen uns oft besser als wir uns selbst.




2.) Wenn man sich Fotos oder Interviews von Ihnen anschaut, präsentieren Sie sich oft in schwarz. Auch für die Gestaltung Ihrer Internetpräsenz haben Sie sich für diese Farbe entschieden. Wie passt schwarz in das bunte Bild eines Zirkuswagens? Hat diese Farbe für Sie eine Bedeutung, einen tieferen Sinn, oder lieben Sie einfach nur die Kontraste und Gegensätze?


„Schwarz ist die Königin der Farben“ heißt es in „Das schwarze Buch der Farben“ von Menena Cottin und Rosana Faría, und das denke ich auch. Schwarz ist eine wunderschöne Farbe, denn sie ist ein Kaleidoskop aus Schatten, Gedanken und Nacht. Schwarz transportiert vieles und verbirgt vieles und ist für mich kein Gegensatz zu anderen Farben, sondern in gewisser Weise lediglich die konsequente Weiterentwicklung selbiger. Ich liebe meinen Zirkus in all seinen Farben, aber ich liebe auch die Finsternis und die Einsamkeit, die in jeder seiner Fugen steckt, denn mein Wagen steht ja für etwas, das in dieser Welt an sich keinen Platz mehr hat, und er symbolisiert ähnlich wie meine Garderobe ein Leben abseits gewöhnlicher Normen. Ebenso liebe ich die Schattenhaftigkeit meiner Kleidung, die umgekehrt alle Farben der Welt in sich vereint und nur aus diesem Grund so dunkel wirkt: weil sie alles ist und gleichzeitig nichts.




3.) In der Talkshow yoomee.tv haben Sie Michael Ende zitiert, der einst sagte, unsere Welt sei in einen Strudel des blinden Rationalismus geraten und diese eine Zivilisationswüste nannte. Wenn man nun schaut, wer was liest, merkt man schnell, dass sich vorwiegend jüngere Leser von der Phantastik und Fantasy angezogen fühlen. In wie weit denken Sie, dass das Alter dabei eine Rolle spielt? Glauben Sie, die Erwachsenen haben mit der Zeit und der Gesellschaft das Träumen schlicht und ergreifend verlernt?


Ich denke, dass es – je älter man wird – immer schwerer wird, sich gegen bestimmte Mechanismen zur Wehr zu setzen, die all jenem entgegenstehen, das der Zivilisationswüste in die Quere kommen könnte. Seien wir ehrlich: In unserer Gesellschaft herrscht das Prinzip der systematischen Verdummung, sei es durch Werbung, Fernsehen, Konsum- und Konkurrenzdenken oder das methodische Säen von Furcht, und obwohl es kaum eine Gruppierung gibt, die sich nicht Individualität und freies Denken auf die Fahnen schreibt, ist beides letzten Endes nicht mehr gefragt. Kinder und Jugendliche haben meist noch weniger Angst vor möglichen Konsequenzen, wenn sie Dinge hinterfragen. Sie stecken noch nicht bis zum Hals in den Mechanismen, die uns immer tiefer in den Sumpf der Ökonomisierung ziehen, bis wir uns nicht mehr rühren können und das Denken lieber anderen überlassen. Sie sind noch fähig, die Wunder zu sehen, die uns überall umgeben, oder besser gesagt: Sie leben diese Fähigkeit auch aus. Denn auch wir Erwachsenen haben die Möglichkeit dazu. Aber es fällt uns immer schwerer, uns für unser inneres Kind, für unsere Phantasie, für unsere Fähigkeit zu unverstellten Gefühlen nicht zu schämen und ihnen das Gewicht und die Bedeutung zukommen zu lassen, die sie verdienen.




4.) Sie erwähnen in Interviews oft Ihre Reisen durch Europa und die Erfahrungen, die Sie dort sammeln konnten. Inwieweit hat die Kultur und vielschichtige Mythologie Europas Sie inspiriert?


Eine befriedigende Antwort auf diese Frage würde vermutlich den Rahmen dieses Interviews sprengen, aber so viel kann ich an dieser Stelle sagen: Es ist unmöglich, eine Reise zu unternehmen, wie ich es getan habe, ohne inspiriert zu werden – sei es durch die teilweise jahrtausendealten Stätten unserer Kultur, durch Geschichten, die die Zeit überdauert haben, oder durch Begegnungen mit Menschen, deren Schicksale, Gesichter und Stimmen mich teilweise bis heute nicht loslassen.




5.) Sie haben erzählt, dass Sie Grim eines Nachts begegnet sind und für Sie dann klar war, dass Sie ihn kennenlernen und seine Geschichte erzählen wollen. Wie hat sich dieses Kennenlernen gestaltet?


Wie ich schon sagte, war das eine Art Geistesblitz, eine Idee, die auf einmal in Gestalt eines Bildes in mir auftauchte. Ich sah Grim über den Dächern von Paris, er wandte mir langsam den Blick zu und lächelte kaum merklich. Dann nannte er mir seinen Namen und von dem Moment an wusste ich, dass ich seine Geschichte erfahren wollte.




6.) Ihr erstes Buch, Grim – Das Siegel des Feuers, ist im März 2010 erschienen und hat mit einem Schlag eine große Masse begeistert. Neben vielen Abenteuern, die die Charaktere im Laufe der Geschichte erleben, spielt natürlich auch die Liebe eine Rolle. So kommt es, dass der Gargoyle Grim und das Menschenmädchen Mia Gefühle füreinander entwickeln und sich zuerst mit den Grenzen ihrer Wesen konfrontiert sehen. Neben all den kleinen Erwähnungen der Gefühle bleibt am Ende des Buches für den Leser jedoch eine ganz bestimmte Frage offen: sind sie nun zusammen, oder sind sie nicht? Können Sie uns das beantworten oder ist das eines der kleinen Rätsel, deren Auflösung wir Leser erst in den Folgebänden erfahren?


Darauf kann ich zur Abwechslung einmal kurz und knapp antworten: Ja, Mia und Grim sind am Ende des ersten Bandes zusammen.



7.) In Grim begegnet uns eine breite Palette an Fabelwesen, aber auch vor der Welt der Verdammten, der Toten und der Hölle haben Sie nicht halt gemacht. Dadurch bekam der Leser auch Szenen zu lesen, deren Bilder für einen empfindlichen Magen nicht unbedingt geeignet sind. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, dem Leser die volle Bandbreite zu bieten, anstatt die Szenen zu „verblümen“ oder lediglich anzudeuten, wie man es in anderen Werken sehr oft sieht?


Bei all den Lügen und Taschenspielertricks, derer ich mich natürlich als Geschichtenerzählerin zu bedienen weiß, geht es mir beim Schreiben vor allem um eines: dass meine Geschichten wahr und wahrhaftig sind. Ich sehe keinen Sinn darin, mich während des Schreibens zu knebeln, im Gegenteil: Ich höre sehr genau auf den Atem der Geschichte, auf ihren Rhythmus, ihre eigene Stimme, und erzähle sie so, wie sie es erfordert. Ich möchte den Leser nicht schonen, ihn nicht einlullen und an der Oberfläche unterhalten, und genausowenig steht mir der Sinn nach Effekthascherei. Dafür gibt es andere Medien, die sich auf das Gedankenabschalten ihrer Konsumenten spezialisiert haben. In GRIM wollte ich keine Welt erschaffen, die einem Ideal jedweder Art entspricht, sondern einen Raum zeigen, der auch dreckig ist, zerrissen, unheimlich, mitunter widerwärtig und düster, dann wieder scheinbar bekannt, nur um ganz plötzlich abermals zu zeigen, dass es keine Sicherheit gibt, nirgends. Das bedeutet nicht, dass ich alles beschreibe, was die Geschichte mir zeigt – aber ich zeige dem Leser all das, was nötig ist, um die Geschichte in all ihren Facetten erleben zu können. Alles andere würde ich als unfair und in gewisser Weise feige empfinden. Ich möchte dem Leser nicht nur die Hälfte von Grims Welt zeigen, sondern ihm die Möglichkeit geben, sich mit meinen Figuren gemeinsam auf das Abenteuer zu begeben. Und das geht nicht, wenn ich stets einen Schleier über gewisse Dinge lege.




8.) Grim hat eingeschlagen wie eine Bombe und von einem Tag auf den anderen sind Sie in den Strudel der Öffentlichkeit geraten. Wie fühlt es sich an, wenn die eigene Geschichte einen solchen Anklang findet, man von tausend begeisterten Lesern bewundert wird und bei einigen vielleicht sogar auch zum Lieblingsautor geworden ist?


Neben den Geschichten selbst sind es meine Leser, für die ich schreibe. Menschen, die keine Scheu davor haben, über Grenzen hinaus zu denken. Menschen, die sich auf Neues einlassen können, die ihren Gefühlen und ihrer Phantasie vertrauen und sich mit Figuren anfreunden, die sich jenseits des Mainstreams bewegen. Menschen, die ebenso facettenreich und vielschichtig sind, wie Geschichten es sein sollten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es diese Menschen gibt und dass ihnen meine Geschichte gefällt. Ohne meine Leser wäre ich nichts als ein Geschichtenerzähler auf einem einsamen Platz.




9.) Momentan arbeiten Sie an einem neuen Abenteuer von Grim und Sie haben bereits erwähnt, dass einige neue Charaktere ihren Platz in der Geschichte finden werden. Wird Mia neben Grim auch wieder den 2. Hauptcharakter bilden oder wird sie vielleicht nur noch ein Nebencharakter sein und damit etwas mehr in den Hintergrund rutschen?


Mia wird wie im ersten Band den weiblichen Hauptcharakter übernehmen und es wird noch größeres Gewicht auf ihre Entwicklung gelegt werden als im ersten Band.




10.) Viele Werke aus dem Phantastik- und Fantasy-Genre werden verfilmt. Könnten Sie sich vorstellen, dass Grim irgendwann die Leinwand eines Kinos bewohnt und damit vielleicht sogar zu einem Teenieschwarm mutiert?


Bei dieser Frage würde ich gern Grims Gesicht sehen. ;) Einerseits wäre es natürlich großartig, die eigene Geschichte verfilmt zu sehen, zu erfahren, wie ein anderer Künstler sich die Bilder der Geschichte vorstellt. Andererseits hätte ich vermutlich auch Angst davor, dass die Geschichte verfälscht würde – ähnlich wie es beispielsweise Michael Ende mit seiner Unendlichen Geschichte ergangen ist. Es ist mir sehr wichtig, dass ich nie den Bezug zu meinen Geschichten verliere. Sie sind das Wichtigste, ohne sie wäre ich nichts, und ich möchte nicht, dass sie in irgendeiner Art und Weise missbraucht werden. Grim als Teenieschwarm – ein lustiger Gedanke. :) Ich glaube allerdings, dass Grim in vielerlei Hinsicht einem typischen Teenieschwarm widerspricht, daher bin ich nicht sicher, ob er tatsächlich von jungen Mädchen angehimmelt werden würde – aber das käme auf einen Versuch an.



11.) Ihre Geschichte handelt von Gargoyles, deren Rasse eine bunte Schar von Formen angehören – so findet man zum Beispiel menschenähnliche, Ziegen, Löwen und auch Drachen unter ihnen. Wenn sie selber ein Gargoyle wären, was glauben Sie, welche Form die Ihre wäre und warum?


Oh, das ist eine schwierige Frage! Zunächst hinge das wohl davon ab, welchem Clan ich angehören würde, wer mich erschaffen hätte etc. Aber wenn ich mir eine Gestalt aussuchen könnte, wäre ich vielleicht gern ein geflügelter Löwe. Aus eigener Kraft zu fliegen muss ein gigantisches Gefühl sein, und ich stelle es mir großartig vor, die eigene Stimme in einem fulminanten Gebrüll über die nächtlichen Dächer von Hamburg zu schicken.




12.) Mittlerweile kursieren im Netz sehr viele Rezensionen zu Ihrem Buch und einen Großteil davon kann man auch direkt auf Ihrer Homepage finden. Wie fühlt es sich für Sie an, wenn jemand Anderes Ihr Werk auseinander nimmt, das Positive und Negative aufzeigt und schlussendlich dem Ganzen noch eine Note verleiht?


Ich denke, dass das dazugehört, wenn man mit einer Geschichte in die Öffentlichkeit tritt. Es ist dann nur die Frage, wie man mit der Kritik umgeht. Bei mir gibt es inzwischen einige Menschen, angefangen von Testlesern bis hin zu Lektoren, die meine Texte kritisieren – für ihre Kritik bin ich immer sehr dankbar, da sie mir hilft, mich zu verbessern und meine Geschichten so zu erzählen, wie sie es verdienen.

Wie ich mit Kritik von außen, also sozusagen von Fremden, umgehe, kommt auf die Kritik an. Wichtig bei aller Kritik ist mir, wer mich kritisiert, d.h. ich frage mich immer zuerst, was denjenigen dazu befähigt, die Kritik zu üben, was ihn also gewissermaßen für mich zu einer Autorität macht. Wenn ich die Kritik dann als gerechtfertigt ansehe, versuche ich, mich zu verbessern. Mitunter werden persönliche Meinungen geäußert, die der meinen widersprechen – aber das empfinde ich dann nicht als Kritik, denn jeder hat das Recht, sich seine Meinung zu bilden und sie zu vertreten, und nicht jedem muss gefallen, was oder wie ich schreibe. Wenn allerdings oberflächlich gelesen wurde oder andere Motive hinter einer Kritik stecken, die mit dem eigentlichen Text erst in zweiter Linie etwas zu tun haben, dann ist die Kritik für mich nicht ernstzunehmen. In dem Fall sagt die Rezension oft mehr über den Rezensenten aus als über das Buch. Die Kritik hat sich damit selbst disqualifiziert und landet in meiner – ich zitiere Ralf Isau – „mentale[n] Sondermülltonne“.




13.) An der Art, wie Sie schreiben und die Geschichte strukturiert haben erkennt man sehr gut, dass Sie sich viele Gedanken darum gemacht haben, wie Sie was in die Handlung einbringen. Neben vielen tollen Szenen finden sich im Verlauf der Story natürlich auch so einige wundervolle Zitate. Welches davon gefällt Ihnen selbst am besten?


Da fällt mir ein Satz ein, den Grim mir bereits bei einem unserer ersten Gedankentreffen gesagt hat: Ich falle nicht. Ich fliege.




Wir bedanken uns für das Interview mit Ihnen, Frau Schwartz und hoffen, dass Sie dabei genauso viel Spaß hatten wie wir, dass Ihnen unsere Fragen gefallen haben und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!

Vielen Dank für die überaus spannenden und originellen Fragen, sie haben mir viel Spaß gemacht.